Einschränkende Maßnahmen lassen keine Gedenkstunde zu

Gedenkstunde an die Pogromnacht muss abgesagt werden

Seit 2004 organisiert der Kempener Geschichts- und Museumsverein am 9. November das Gedenken wider das Vergessen am Mahnmal für die Kempener Synagoge auf der Umstraße. In diesem Jahr sollte diese Gedenkstunde zum ersten Mal aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen auf Abstand in der Paterskirche stattfinden. Doch da sich die Situation im Kreis Viersen aufgrund der steigenden Corona-Zahlen verschlechtert hat und mit dem Lockdown-Light einschränkende Maßnahmen greifen, kann das Gedenken in diesem Jahr mit Rücksicht auf die Gesundheit der Teilnehmenden nicht stattfinden. Der Vorstand des Geschichts- und Museumsverein hat deshalb am heutigen Mittwoch für dieses Jahr diese Form des Gedenkens abgesagt. De beiden Vorsitzenden Dr. Ina Germes-Dohmen und Dr. Elisabeth Friese werden stattdessen am Montag, dem 9. November, um 17.00 Uhr ein Gebinde am Mahnmal niederlegen und eine Kerze des Gedenkens aufstellen.

Sie laden alle Bürgerinnen und Bürger ein, am 9. oder 10. November am Mahnmal auf der Umstraße einen Moment innezuhalten, persönlich an die Opfer des Holocausts zu denken und vielleicht auch eine Kerze zu entzünden – und dabei auf den notwendigen Abstand zu achten.

Dr. Ina Germes-Dohmen und der gesamte Vorstand bedauern es außerordentlich, dass das Gedenken in der üblichen Form ausfallen muss. „Auch in Zeiten wie diesen, in denen die Pandemie eine alles andere erdrückende Tatsache zu sein scheint, dürfen wir nicht vergessen über den Tellerrand zu schauen, zum einen in andere Teile der Welt, in der nicht nur Covid 19, sondern auch Hunger und Krieg die Menschen existentiell bedrohen, zum anderen dürfen das Corona-Virus und die Maßnahmen gegen die Erkrankung und die Folgen der Krise nicht überlagern, dass es noch mehr Bedrohungen für Menschen gibt als das Virus. Denn Menschen werden und wurden auch bei uns wegen ihrer Herkunft, ihrer Abstammung, ihrer Religion, ihrer Ethnie oder ihrer sexuellen Orientierung bedroht.

Diese anderen „Viren“ – genauso unsichtbar wie das Corona-Virus – sind genauso gefährlich und verbreiten sich seit Jahren wieder deutlich stärker. Wir haben es in den vergangenen Wochen bei den islamistischen Anschlägen in Wien, Nizza und Paris erlebt. Unsere Gesellschaft ist gefährdet durch Hass und Gewalt gegen Andersdenkende, durch Rassismus, Radikalisierung jeglicher Art, durch Diskriminierung von Minderheiten. Gerade in den vergangenen Monaten der Corona-Pandemie wächst der Nährboden für diese anderen Viren, wie wir bemerken, wenn sich Corona-Leugner und Rechtsextremisten zusammentun. Der Nährboden besteht häufig in einer desolaten Lebenssituation, in der Menschen sich nur zu schnell bereitfinden, die Ursache bei anderen und nicht bei sich selbst zu suchen. Dies war auch in den 1930er Jahren so. Der Nationalsozialismus hat den schon vorher verbreiteten Antisemitismus bewusst instrumentalisiert. Politisch Andersdenkende sowie Menschen, die dem NS-Rassenideal nicht entsprachen, vor allem Jüdinnen und Juden, aber auch andere Minderheiten wie Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommunisten oder überzeugte Christen, die der Partei nicht folgten, wurden verfolgt, entrechtet und dann in letzter Konsequenz ermordet. Das Novemberpogrom war nicht der Höhe- und Endpunkt des nationalsozialistischen Rassenwahns, es war vielmehr der Auftakt eines beispiellosen Völkermords. Das konnten die Kempener Bürger am 10. November nicht wissen, aber vielleicht doch ahnen, also sie größtenteils tatenlos zusahen, als SA-Leute und Polizisten die Kempener Synagoge in Brand steckten und jüdische Häuser und Geschäfte verwüsteten und ihren Bewohnern Gewalt antaten. Hätten sie es verhindern können?“ Und Germes-Dohmen fährt fort: „Wir wissen, dass das Virus des Antisemitismus schon vorher virulent war. Dass Viren sich ausbreiten, wenn man sich nicht gegen sie schützt, dass sich Infektionen nicht durch Weggucken und Wegducken verhindern lassen, sondern nur durch konsequentes Handeln, das erfahren wir mitten in der Pandemie hautnah. Wir müssen dieses Wissen auch in unser Handeln gegen Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung aufnehmen. In den Fenstern einer Kosmetikfirma hingen im Sommer Plakate, auf denen auf Englisch stand: Bitte nicht betreten mit Symptomen von Covid 19, Antisemitismus und Homophobie! Das wäre eine Haltung, die ich unserer gesamten Gesellschaft wünsche.

Setzen Sie ein Zeichen gegen das Vergessen und ein Zeichen gegen Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus – auch wenn es in diesem Jahr nur ein privates, persönliches Statement jedes einzelnen sein kann.“

Ina Germes-Dohmen, Vorsitzende Kempener Geschichts- und Museumsverein

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